Eine Komödie über Sex und Macht
Regisseurin Lotte de Beer im Interview über Mozarts Oper, Klassenkampf, Sex, Macht – und vier sehr unterschiedliche Sichten auf ein musikalisches Meisterwerk.
Lotte, oft heißt es, dass es in Le nozze di Figaro zuallererst um den Klassenkampf geht, dass die Oper die Themen der Französischen Revolution atmet.
Diese Analyse mag stimmen, aber für mich ist Le nozze di Figaro dennoch in erster Linie eine Komödie über Sex und Macht. Der gesamte musikalische Aufbau der Oper besteht aus Variationen von Tänzen, welche die soziale Hierarchie und den Flirt abbilden.
Sex und Macht – immer noch eine schwierige Paarung, nicht?
Das stimmt. Vor allem seit dem Entstehen der MeToo-Bewegung ab 2017 blicken viele Menschen kritisch auf die Rolle, die diese Themen in den letzten Jahrzehnten gespielt haben. Unsere Sicht auf Sex und Macht hat eine grundlegende Neudefinition erfahren. In unserer Interpretation von Le nozze di Figaro beleuchten wir deshalb verschiedene Perspektiven auf diese Themen, zeigen nicht nur eine Sichtweise.
Wie genau stellst du das an?
Indem wir – auch durch das Bühnenbild von Rae Smith und die Kostüme von Jorine van Beek – jeden Akt aus der Sicht anderer Figuren erzählen.
Vier verschiedene Perspektiven in vier Akten?
Genau. Im ersten Akt sehen wir die Welt durch die Augen des Grafen: Für ihn ist die Jagd auf junge Bedienstete ein spitzbübischer Spaß. Eine ältere, strickende Dame, die sich nach Liebe sehnt, ist in der Sicht des Grafen urkomisch; und einen jungen Burschen in den Krieg zu schicken, ist ein schlauer und amüsanter Weg, seine Konkurrenz auf dem Flirtmarkt loszuwerden. Im zweiten Akt sehen wir die Welt aus der Sicht von Susanna. Sie ist eine Frau aus der Arbeiterklasse, die verzweifelt versucht, diesen verrückten Haushalt sauber und ordentlich zu halten. Sie muss sich mit einem grenzüberschreitenden Chef herumschlagen, einen übersexualisierten Teenager in Schach halten, eine depressive Chefin bedienen und mit einem naiven Verlobten zurechtkommen.
Der dritte Akt bringt dann einen sehr viel schwermütigeren Blick, richtig?
Ja, den dritten Akt erleben wir aus der Perspektive der Gräfin. Sie hat die Hoffnung aufgegeben. Der Nihilismus hat sie überwältigt. Selbst als ihr Mann offen mit seinem grenzüberschreitenden Verhalten konfrontiert wird, ändert er sich nicht: Die Gräfin sieht immer noch, wie er Mädchen gegen die Wand drückt und Susanna heimlich einen Zettel zusteckt.
Gibt es auch eine hoffnungsvolle Perspektive auf Sexualität und Macht?
Vielleicht durch die Jugend. Im vierten Akt sehen wir die Perspektive der jungen Barbarina: Während die Erwachsenen weiter ein zynisches Versteckspiel veranstalten, suchen Barbarina und Cherubino, inspiriert von der strickenden Dame, nach einem besseren Weg, mit dem Kampf der Geschlechter umzugehen, die Karten in diesem Spiel um Sex und Macht neu zu mischen und eine utopische Zukunft zu erschaffen.
Du hast gesagt, das Werk ist in erster Linie eine Komödie.
Eine Komödie bleibt es, und zwar eine mit Biss!