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„Hinter die Kulissen blicken und sich gleichzeitig verzaubern lassen“

Ein Gespräch mit Lotte de Beer … bei dem Musikdirektor Omer Meir Wellber unerwartet dazustößt.

Lotte de Beer und Omer Meir Wellber


Das Gespräch führte Chefdramaturg Peter te Nuyl. Dies ist eine gekürzte Version, das komplette Gespräch finden sie in unserer Saisonvorschau!

Lotte, wird sich sehr viel ändern an der Volksoper, mit dir als neue Künstlerische Direktorin?

Jein! Ich habe mich ja nicht umsonst gerade für dieses Haus beworben. Die Herangehensweise, ein vielfältiges Angebot möglichst niederschwellig einem ebenso vielfältigen Publikum näherzubringen, das wird sich nicht ändern. Das ist etwas, das mich sehr anspricht, diese Tradition will ich weiter ausbauen.
Die Volksoper als Ensemble-Haus, das wird sich nicht ändern. Das ist eine Konstante.
Dass hier gelacht wird, das wird sich nicht ändern. Über das Leben auch einmal lachen zu können, das ist wahnsinnig wichtig und schön.
Die Operette als Herzstück unseres Programms, das wird sich ebenfalls nicht ändern. Operette ist mehr als nur ein schönes Exponat im Museum, Operette ist unglaublich aktuell. Gemeinsam mit einem großen Team will ich weiter an dieser wunderbaren Tradition der Volksoper arbeiten.

Plötzlich öffnet sich die Tür. Lotte redet weiter:

Tradition ist nicht Anbetung der Asche, sondern Weitergabe des Feuers, wie Jean Jaurès sagte.

Im Türrahmen steht Omer Meir Wellber, der neue Generalmusikdirektor.
Er beteiligt sich sofort am Gespräch:

OMW: Ich setze mich sehr gerne mit Tradition auseinander. Aber Tradition muss genährt werden. Wenn du sie nicht nährst, dann stirbt sie, oder noch schlimmer, sie wird zum Dogma. Ohne Tradition ist es einfach, dann hast du keine Grenzen. Arbeitet man aber innerhalb der Grenzen einer Tradition, dann hat man eine Herausforderung: die Grenzen in Frage stellen, sie in eine neue Perspektive bringen. Das nährt dann wiederum die Tradition. Und das Publikum, und uns. Die Arbeit an einem Haus wie der Volksoper, mit einer so starken Tradition, ist künstlerisch, musikalisch eine große Herausforderung.

Lotte, warum wolltest du so gerne mit Omer zusammenarbeiten?

LdB: Omer ist jemand, der über die beiden Welten Musik und Theater hinausdenkt, sie miteinander verbindet. Weil er immer vom Inhalt her denkt. Musik ist für ihn keine bloße Ansammlung von Konventionen, sie ist für ihn eine große Erzählung, Kommunikation, Verbindung. Omer ist in hohem Maße ein Erneuerer, aber nie um der Erneuerung selbst willen, es geht ihm immer um den Inhalt, um die Bedeutung. Wie können wir die Geschichte bestmöglich erzählen? Das ist unser gemeinsamer Antrieb.

Und Omer, warum wolltest du mit Lotte arbeiten?

OMW: Das größte Manko unseres Berufes ist, dass praktisch niemand von denen, deren Werke wir aufführen, noch am Leben ist. Unsere Bewunderung für diese verstorbenen Komponisten und Autoren – meistens Männer – zwingt uns auf komische Art und Weise in ein Museum für tote Künstler. Lotte ist eine der wenigen, die sich nicht davor fürchtet, reinen Tisch zu machen, alles zu hinterfragen, die Konventionen hintan zu stellen, und aus dem Theater einen Raum voll Leben zu machen, kein Mausoleum.

Lotte, als eine der Konstanten nanntest du das Ensemble der Volksoper.

Ich bleibe dem Ensemble-System treu, weil ich einfach vollkommen daran glaube. Das Ensemble ist die künstlerische Familie, das Herz eines Hauses. Ein Opernhaus ist nicht nur das Gebäude, in dem gespielt wird, es ist auch das Zuhause, in dem die künstlerische Familie wohnt und ihre Gäste empfängt.
Als Volksoperndirektorin bin ich nun Teil dieser Familie. Ich bin Regisseurin, aber vor allem bin ich ein Mensch, der nur in einer Umgebung wächst und gedeiht, in der die Zusammenarbeit funktioniert, in der ich auf die Intuition und das Können der Menschen um mich herum vertrauen, mich in Verliebtheiten stürzen kann, ausschließlich professioneller und künstlerischer Natur natürlich. Eine Umgebung, in der Arbeitsbeziehungen entstehen, bei denen das Ergebnis zwangsläufig mehr ist als die Summe der Einzelteile.

Die Familie, das Ensemble, setzt sich aus exzellenten Allroundern zusammen, professionellen Darstellerinnen und Darstellern, die alles können: singen, spielen und tanzen, Theatermacherinnen mit einer eigenen Vision, die trotzdem als Team arbeiten wollen und vor allem können. Menschen mit den Qualitäten von Solisten aber der Mentalität von Ensemblespielern. Schauspielernde Sänger, singende Schauspielerinnen, Musiker mit einem Herz fürs Theater und Theatermenschen mit einem Herz für Musik.

Letzte Frage: Wann wurdet ihr das erste Mal in eurem Leben durch Theater bezaubert?

OMW: Mein Cousin ist ein berühmter Schauspieler in Israel. Mit ihm backstage zu gehen, das Makeup zu riechen, die ganze Technik, zu sehen, wie die Verzauberung hergestellt wird, das hat mich als Kind stark beeindruckt. Zu beobachten, wie es gemacht wird, hat für mich das Mysterium des Theaters nur noch vergrößert.

LdB: Ich war glaub ich sieben und ging mit meinen Eltern in die Oper in Lüttich. Als ich den Saal betrat und den roten Vorhang sah, das Orchester sich einstimmen hörte, da war es um mich geschehen. Die Erwartung, dass sich hinter diesem Vorhang und im Orchestergraben gleich eine ganze Welt nur für mich entfalten würde, das allein war schon die ultimative Bezauberung.
Alle großen Dramatiker:innen und Komponist:innen haben eines begriffen: Spielen ist der Ursprung von Theater, es spricht immer irgendwie das Kind in uns an. Darum sage ich: Hinter die Kulissen schauen und sich gleichzeitig bezaubern lassen, das ist Theater. Kinder sehen, dass es Puppen sind, und trotzdem ist nichts echter, wahrhaftiger als die Welt auf der Puppenbühne.
Mir ist es enorm wichtig, Vorstellungen zu zeigen, zu denen die ganze Familie kommen kann, bei denen jeder seine eigene Geschichte, seine eigenen Fragen, seine eigene Bezauberung, sein eigenes Vergnügen entdecken kann.
Familien-Produktionen sind Chef-Sache!